Teil 6: Wie viele Wiederholungen? [Intensität]

~3300 Wörter; 9-13 Minuten Lesezeit.

Autor: Lukas Buschkühl

Zusammenfassung

  • Das Training ineffektiver statt effektiver Sätze ist einer der häufigsten Gründe für Stagnation. 
  • Ein Satz in deinem Training zählt nur dann als effektiver Satz, wenn er zwischen 3 und 20 Wiederholungen bei 0 bis 4 Wiederholungen im Tank liegt.
  • Für die meisten Lifter bringen Sätze zwischen 5 und 15 Wiederholungen bei 1 bis 3 Wiederholungen im Tank die besten Ergebnisse.
  • Obwohl die beiden Begriffe im regulären Sprachgebrauch analog verwendet werden, bedeuten 'Intensität' und 'Anstrengung' nicht das Gleiche.
  • In Kombination mit einer genau eingegrenzten Anstrengung kann Intensität vereinfacht als Wiederholungsbereich ausgedrückt werden.
  • Sätze zwischen 3 und 20 Wiederholungen liefern die gleichen Effekte für Muskelaufbau, solange Volumen und Anstrengung gleich bleiben.
  • In der Praxis wirken sich sowohl sehr hohe und als auch sehr niedrige Wiederholungsbereiche negativ auf die Anzahl effektiver Sätze pro Woche aus.
  • Wenn du über mehrere Wochen in unterschiedlichen Wiederholungsbereichen trainierst und dabei die gleichen Übungen für die gleiche Anzahl an Sätzen mit der gleichen Anstrengung machst, kannst du abgleichen, in welcher Woche du die meiste Erschöpfung erzeugt hast.
  • Es ist sinnvoll, weniger Wiederholungen zu machen, je mehr Muskulatur an einer Übung beteiligt ist.
  • Sätze mit weniger als acht Wiederholungen eigenen sich, insbesondere in den komplexen Grundübungen, für Einsteiger am besten.

Was ist Trainingsintensität?

Intensität ist eine der beiden Grundvoraussetzungen produktiver Belastung im Krafttraining. Die zweite Voraussetzung ist Anstrengung. Erst wenn beide Faktoren ein adäquates Level erreichen zählt ein Satz überhaupt als effektiver Satz. Um noch einmal die Analogie der Hautbräunung zu benutzen: Es ist egal, wie viele Stunden du unter einer 60 Watt Lampe liegst. Deine Haut wird dadurch nicht dunkler werden. Wie viele vermeintliche Sätze du in deinem Trainingsplan stehen hast ist bedeutungslos, solange Intensität und Anstrengung nicht die Schwelle der Wirksamkeit überschreiten.

 

Das Training ineffektiver statt effektiver Sätze ist einer der häufigsten Gründe dafür, dass sich Lifter bei mir melden, weil sie in ihrem Training nicht weiterkommen. In kommerziellen Fitnessstudioketten werden Einsteigern immer noch Trainingspläne gegeben, die mehr als 20 Sätze pro Trainingseinheit vorsehen. Das interessante daran ist, dass es für einen Einsteiger absolut unmöglich ist, eine so hohe Anzahl effektiver Sätze zu trainieren. Selbst unter Weltklassesportlern gibt es nur einen kleinen Prozentsatz, die sich immer wieder von einem  so hohen Trainingsvolumen erholen und so davon profitieren können. Eine Trainingseinheit mit 20 effektiven Sätzen dauert mindestens 90 Minuten. Wenn ein Einsteiger so einen Trainingsplan in unter 60 Minuten absolviert, ist das ein klarer Indikator dafür, dass kaum einer der Sätze effektiv war. Der einzige Grund, weshalb Einsteiger selbst mit so groben Fehlern in der Trainingsplanung Fortschritte machen können, ist der Einsteiger Effekt.

 

Obwohl die beiden Begriffe im regulären Sprachgebrauch analog verwendet werden: Intensität und Anstrengung sind nicht das Gleiche!

 

Intensität hat nichts damit zu tun, ob du schwitzt, einen roten Kopf hast oder aus der Puste bist. Intensität wird in isolierter Form als x%1RM ausgedrückt. 1RM steht für 'one repetition maximum'. Wenn du einen Satz mit 80%1RM machst, bedeutet das, dass du mit 80 Prozent des maximalen Gewichts, das du gerade eben noch für eine Wiederholung bewältigen könntest, trainierst. Wenn du beispielsweise 120 kg ein mal heben kannst, würdest du bei einer Intensität von 80%1RM 96 kg heben. Die Intensität eines Satzes steigt, je näher der Satz gegen 100%1RM geht und sinkt, je näher er gegen 0%1RM geht.

 

Ein Satz mit hoher Intensität ist nicht grundsätzlich auch anstrengend. Eine einzige, maximal schwere Wiederholung mit 120 kg ist nicht unbedingt anstrengender als zwölf Wiederholungen mit 70 kg und auch nicht unbedingt erschöpfender. Es ist sogar möglich, zwei Sätze mit der exakt gleichen Intensität zu machen, die völlig unterschiedlich anstrengend sind.

 

Nehmen wir an, dein Trainingsplan sieht eine Intensität von 85% für die nächsten beiden Sätze Kniebeugen vor. Dein 1RM liegt bei 100kg, so dass 85% genau 85 kg entsprechen. Im ersten Satz machst du sechs Wiederholung und landest damit so nah am Muskelversagen, dass keine weitere Wiederholung mehr möglich gewesen wäre. Im zweiten Satz machst du nur zwei Wiederholungen und bleibst somit vier Wiederholungen vom Muskelversagen entfernt oder lässt, anders ausgedrückt, vier Wiederholungen im Tank.

 

In deinem Trainingstagebuch würden diese Sätze folgendermaßen dokumentiert werden:

Kniebeuge 85 kg 1x6T0

 

Ein Satz Kniebeugen mit 85 kg Arbeitsgewicht, sechs Wiederholungen mit null Wiederholungen im Tank.

 

Hohe Intensität (85%), maximal hohe Anstrengung (T0).

Kniebeuge 85 kg 1x2T4

 

Ein Satz Kniebeugen mit 85 kg Arbeitsgewicht, zwei Wiederholungen mit vier Wiederholungen im Tank.

 

Hohe Intensität (85%), niedrige Anstrengung (T4).


Intensität und Wiederholungsbereich

In Kombination mit einer genau eingegrenzten Anstrengung kann Intensität auch vereinfacht als Wiederholungsbereich ausgedrückt werden. Das liegt daran, dass Intensität zwangsläufig an den Wiederholungsbereich gekoppelt ist, solange das Anstrengungslevel gleich bleibt.

 

Nehmen wir an, du schaffst gerade eben so eine Kniebeuge mit 100 kg.

Kniebeuge 1x1 100kg T0

 

Dann schaffst du gerade eben noch 85 kg für fünf Wiederholungen.

Kniebeuge 1x5 85kg T0

 

Und gerade eben noch 65 kg für zehn Wiederholungen.

Kniebeuge 1x10 65kg T0

 

Wiederholungsbereich und Intensität werden erst dann voneinander entkoppelt, wenn sich die Anstrengung verändert.

Mit wie vielen Wiederholungen trainieren?

Die Tabelle verdeutlicht:  Erst, wenn du, wie im Beispiel aus dem letzten Abschnitt, von sechs Wiederholungen mit null Wiederholungen im Tank zu zwei Wiederholungen mit vier Wiederholungen im Tank wechselst, weichen Intensität und Wiederholungsbereich voneinander ab. In beiden Fällen trainierst du mit einer Intensität von 81%, aber einmal mit sechs Wiederholungen und ein mal mit zwei Wiederholungen.

 

 

Wenn deine Sätze adäquat anstrengend sind, sich also im Bereich T1 bis T3 bewegen, sind die Abweichungen so gering, dass sich ihre Intensität als Wiederholungsbereich angeben lässt.

 

 

Bei fünf Wiederholungen ist der Unterschied zwischen T1 und T3 nur etwa 8%1RM Intensität. Ein Unterschied von acht Prozentpunkten in der Intensität ist, wie du in den folgenden Abschnitten sehen wirst, nicht das, worauf es für deinen Trainingserfolg ankommt. Wenn du deine Sätze grundsätzlich mit T2 trainierst, besteht sogar überhaupt kein Unterschied. Es ergibt in der Praxis durchaus Sinn, Wiederholungsbereiche anstelle von %1RM anzugeben, da es simpler ist und keine relevanten Nachteile mit sich bringt.

 

Übrigens: Bevor du die Tabelle kopierst und als Werkzeug für deine Trainingssteuerung verwendest, solltest du wissen, dass diese Standardwert Tabellen immer nur zeigen, wie es sich bei den meisten Liftern in den meisten Fällen verhält. Als ich gerade anfing, als Coach zu arbeiten, versuchte ich, die Trainingsintensität meiner Klienten mit Hilfe solcher Tabellen aus der Trainerausbildung zu steuern. In der Praxis funktioniert das häufig überhaupt nicht. Manche Lifter können mit 90% ihres 1RM bis zu sieben Wiederholungen machen, während andere gerade einmal zwei Wiederholungen mit 90%1RM schaffen. Das hängt unter anderem vom Geschlecht, Alter, Trainingsdauer und Spezialisierung ab.

Welche Intensität liefert am meisten Trainingserfolg?

Eine für deinen Erfolg entscheidende Frage, die immer wieder gestellt wird, lautet: »Sollte ich lieber wenig Wiederholungen mit viel Gewicht machen oder viele Wiederholungen mit wenig Gewicht?«

 

Wenn Profisportlern diese Frage von Einsteigern gestellt wird antworten sie darauf gern: »Mach' viele Wiederholungen mit viel Gewicht!« Hinter diesem Scherz verbirgt sich ein gut gemeinter Ratschlag, der in Teil 7 des Guides näher erläutert wird. Die Profis wollen darauf hinweisen, dass die meisten Hobbylifter mit einem viel zu niedrigen Level an Anstrengung trainieren. Obwohl der Ratschlag gut gemeint ist, kann er durchaus Schaden anrichten, wenn der Einsteiger, der die Frage gestellt hat, tatsächlich mit zu hoher Anstrengung trainiert.

 

Die nuancierte Antwort auf die Frage, ob du deine Sätze mit vielen oder wenigen Wiederholungen machen solltest, hängt davon ab, wo du persönlich hin willst. Du weißt vermutlich schon, dass Training im Wiederholungsbereich ab 15 Wiederholungen aufwärts (Intensität unter 55%1RM) deine Kraftausdauer verbessert, während Training im Wiederholungsbereich unter fünf Wiederholungen (Intensität über 80%1RM) deine Maximalkraft erhöht. [1]

 

Dazwischen gibt es den 'klassischen Hypertrophiebereich' von 8-12 Wiederholungen, von dem lange Zeit über angenommen wurde, die besten Ergebnisse für Muskelaufbau zu liefern. Obwohl diese Annahme inzwischen widerlegt ist, findet man sie immer noch überall im Internet.

Mit wie vielen Wiederholungen trainieren für Maximalkraft?
Abbildungen wie diese findet man immer noch zu Hauf im Internet.

Inzwischen ist belegt, dass alle Sätze mit Intensitäten zwischen 40%1RM und 90%1RM, beziehungsweise zwischen 3 und 20 Wiederholungen, die gleichen Effekte für Muskelaufbau liefern, solange das Volumen in Form von Arbeitssätzen pro Woche und das Level an Anstrengung in Form von Wiederholungen im Tank gleich bleibt.  [1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9]

Mit wie vielen Wiederholungen trainieren für Muskelaufbau?
Eine realistischere Darstellung der Effekte unterschiedlicher Wiederholungsbereiche.

Dein Muskel wächst, wenn all seine Fasern bei einer Bewegung durch die motorischen Einheiten deines zentralen Nervensystems bis zu einem hohen Grad an Erschöpfung rekrutiert wurden. [10, 11, 12, 13]

 

Nehmen wir an, du kannst 100 kg für eine Wiederholung und 40 kg für 20 Wiederholungen heben. Da die Intensität der 20 Wiederholungen mit etwa 40% sehr niedrig ist, rektrutiert dein zentrales Nervensystem während der ersten Hälfte des Satzes zunächst kleinere Muskelfaserbündel. Erst wenn diese erschöpft sind, beginnt dein Nervensystem für die weiteren Wiederholungen nach und nach immer größere Muskelfaserbündel zu rekrutieren. Erst ganz am Ende der 20 Wiederholungen wurden alle Muskelfasern rekrutiert und erschöpft. Das heißt konkret, dass die durch die ersten zwei Drittel des Satzes erzeugte Vorermüdung dafür gesorgt hat, dass das letzte Drittel des Satzes effektive Erschöpfung erzeugt hat. 

 

Wenn du 40 kg zwanzig Mal heben kannst, ist es wahrscheinlich, dass du 90 kg drei Mal heben kannst. Bei einer so hohen Intensität  von etwa 90%1RM rekrutiert dein zentrales Nervensystem schon ab der ersten Wiederholung alle Muskelfasern, die allesamt nach der dritten Wiederholung erschöpft sind. Deswegen haben Untersuchungen immer wieder gezeigt, dass alle Wiederholungsbereiche zwischen 3 und 30 Wiederholungen zu Muskelaufbau führen.

 

Dass der Effekt für Muskelaufbau in der oberen Abbildung trotzdem nach links und rechts abfällt hat den gleichen Hintergrund, wie es bereits im letzten Teil des Guides zum Thema Frequenz der Fall war. Während alle Frequenzen potentiell den gleichen Erfolg liefern können, gibt es in der Praxis Unterschiede wenn es darum geht, welche Frequenz die höchste Anzahl effektiver Sätze pro Woche ermöglicht. Das Gleiche gilt für die Intensität. In der Praxis wirken sich sowohl sehr hohe und als auch sehr niedrige Intensitäten negativ auf die Anzahl effektiver Sätze pro Woche aus.

Welcher Wiederholungsbereich ermöglicht dir die meisten effektiven Sätze?

Die Behauptung, dass du mit acht bis zwölf Wiederholungen pro Satz die meiste Muskulatur aufbaust ist falsch. Im Leistungssport hat sich dieser Wiederholungsbereich aber nicht ohne Grund bewährt. Du baust in diesem Bereich zwar nicht mehr Muskulatur pro Satz auf, wirst langfristig gesehen aber mehr effektive Sätze pro Woche trainieren können als mit 3er oder 20er Sätzen.

Zu hohe Intensität

Es gibt eine im Internet berüchtigte Untersuchung, die immer wieder gern von denjenigen Powerliftern herangezogen wird, die ausschließlich im Bereich drei bis fünf Wiederholungen trainieren. Die Untersuchung soll beweisen, dass Training mit schweren Gewichten und niedrigen Wiederholungen für Muskelaufbau genau so gut funktioniert, wie klassisches Bodybuildingtraining im Bereich acht bis zwölf Wiederholungen. Das Interessante ist, dass die Studie offenbar nie vollständig gelesen wird, da sie tatsächlich das genaue Gegenteil herausgefunden hat. [14]

 

Gruppe A trainierte mit zehn Wiederholungen pro Satz. Gruppe B trainierte mit drei Wiederholungen. Beide Trainingsprogramme lieferten ähnlichen Muskelaufbau. Zusätzlich wurde die 3WH-Gruppe stärker als die 10WH-Gruppe. Beide Ergebnisse sind nicht verwunderlich. Volumen und Anstrengung war in beiden Gruppen gleich, so dass der Muskelaufbau gleich war. 'Stark sein' wird in der Sportwissenschaftlich als 'ein möglichst hohes Gewicht genau ein mal bewältigen können' definiert und demzufolge mit einem 1RM Test geprüft. Drei Wiederholungen sind näher an einer Wiederholung als zehn Wiederholungen. Die 3WH-Gruppe hat sich spezifischer auf den Test vorbereitet und dementsprechend besser abgeschnitten. Wäre 'stark sein' hingegen als 'ein möglichst hohes Gewicht zehn Mal am Stück bewegen können' definiert, dann hätte die 10WH-Gruppe besser abgeschnitten und wäre als stärker erklärt worden.

 

Liest man die Studie in ihrer Gesamtheit, stößt man auf Folgendes:

  • Die 3WH-Gruppe zeigte schon nach vier Wochen erhebliche körperliche und mentale Erschöpfungserscheinungen. Die Erschöpfung verschlimmerte sich zum Ende der achtwöchigen Studie hin so weit, dass einige Teilnehmer nicht mehr weitermachen konnten.
  • Die Teilnehmer der 10WH-Gruppe gaben hingegen an, dass sie gern mehr trainiert hätten, wenn sie gedurft hätten.
  • Die 3WH-Gruppe benötigte für ihre Trainingseinheiten im Schnitt mehr als doppelt so viel Zeit wie die 10WH-Gruppe.

Die 3WH-Gruppe erzeugte also genau das, was wir in Teil 4 des Guides als unproduktive Erschöpfung identifiziert haben: Hohe Mengen an Erschöpfung, die langfristig viel langsamer ans Ziel führen als produktive Erschöpfung aus effektiveren Trainingsbelastungen, die besser zum Erreichen der persönlichen Ziele geeignet sind. Das gilt selbst für Powerlifter, Strongmen und Gewichtheber, da diese, wie im letzten Teil des Guides erläutert, die meiste Zeit über damit beschäftigt sind, so viel Muskulatur wie möglich aufzubauen.

 

Deswegen trainieren die besten Schwerathleten die meiste Zeit über mit fünf oder mehr Wiederholungen und fügen erst in der Wettkampfvorbereitung viele Singles (1WH) und Triples (3WH) in ihre Trainingsroutine ein

Zu niedrige Intensität

Auch niedrige Intensitäten, also Sätze mit mehr als 15 Wiederholungen, erzeugen unproduktive Erschöpfung, wenn dein Ziel Muskelaufbau ist. Der negative Effekt ist in diese Richtung sogar noch stärker. Während manche Powerlifter in ihrer Wettkampfvorbereitung über mehrere Wochen am Stück über 15 3er-Sätze Kniebeuge pro Woche trainieren, wäre so ein Volumen mit 20er Sätze praktisch unmöglich durchzuhalten.

 

Je mehr Wiederholungen du machst, desto näher musst du ans Muskelversagen, damit am Ende des Satzes wirklich alle Muskelfasern rekrutiert und erschöpft wurden. [1] Wer schon einmal 20 Wiederholungen Kniebeuge bis zum Muskelversagen gemacht hat weiß, dass 'niedrige Intensität' hier wirklich alles andere als 'entspanntes Training' bedeutet. Der metabolische Stress, der bei so einem Satz auf deinen Körper wirkt, ist extrem. Es gibt außerhalb vom Crossfit und Spinning nahezu keine Wettkämpfe, die diese Art von Leistung abfordern, weil die Gefahr einer Rhabdomyolyse zu hoch ist. [15] Bei dieser Verletzung zerfällt die quergestreifte Muskulatur. Diese irreparablen Gewebeschäden bedeuten normalerweise das Ende der sportlichen Karriere des betroffenen Athleten.

 

Falls du schon einmal 20 Wiederholungen Kniebeuge gemacht hast und jetzt den Kopf schüttelst, weil es 'doch gar nicht so schlimm war', dann gehe ich mit dir gern jede Wette ein, dass du bei diesem Satz mehr als fünf Wiederholungen vom tatsächlichen Muskelversagen entfernt warst.

Der klassische Hypertrophiebereich

Im Wiederholungsbereich 8-12 benötigst du weniger Pause zwischen deinen Sätzen und kannst insgesamt mehr Sätze pro Woche trainieren. [16, 17] Du erzeugst somit mehr produktive Erschöpfung in kürzeren Trainingseinheiten.

 

Bevor du jetzt nur noch mit acht bis zwölf Wiederholungen trainierst: Es gibt wie immer Ausnahmen. Jede Untersuchung und Metaanalyse zeigt immer nur, was für die meisten Lifter in den meisten Fällen funktioniert. Wenn jeder Lifter genau gleich reagieren würde, wären dieser Guide und der Coachberuf überflüssig.

 

Entscheidend ist, dass du in einem Wiederholungsbereich trainierst, in dem du persönlich möglichst viele Sätze pro Woche trainieren kannst. Dass dieser Bereich für die allermeisten Menschen zwischen acht und zwölf Wiederholungen liegt, bedeutet nicht, dass du nicht vielleicht mit fünf oder fünfzehn Wiederholungen besser fährst.

Das Experiment

Ein Test, mit dem du herausfindest, was für dich am besten funktioniert, könnte beispielsweise so aussehen:

Welcher Wiederholungsbereich liefert den besten Muskelaufbau?

Wenn du über mehrere Wochen in unterschiedlichen Wiederholungsbereichen trainierst und dabei die gleichen Übungen für die gleiche Anzahl an Sätzen mit der gleichen Anstrengung machst, kannst du abgleichen, in welcher Woche du die meiste Erschöpfung erzeugt hast. Das Beispiel zeigt einen Lifter, dessen Körper 15 Wiederholungen deutlich besser wegsteckt als 5 Wiederholungen.

 

Training findet nie im Vakuum statt. Deine Erschöpfung wird nicht nur aus deinem Training sondern aus vielen Quellen erzeugt. Es ist daher wichtig, bei der Durchführung so eines Tests möglichst viele Störfaktoren auszuschließen. Wenn du beispielsweise in der ersten Woche im Schnitt nur fünf Stunden pro Nacht schläfst und in der zweiten Woche im Schnitt neun Stunden schläfst, ist das Testergebnis für dich wertlos.

Wie die besten Schwerathleten so stark wie möglich werden

Wenn du Schwerathlet bist und der Überzeugung bist, du müsstest sehr viel Volumen mit hohen Intensitäten von über 85% trainieren: Das ist nicht der Fall. Deine Kraft im Wettkampf setzt sich nur aus drei beeinflussbaren Faktoren zusammen:

  • Technik
  • Die Bereitschaft deines zentralen Nervensystems (ZNS), möglichst viele Muskelfaserbündel gleichzeitig zu rekrutieren
  • Das Volumen der rekrutierbaren Faserbündel - die Menge an Muskulatur die du mit dir rumträgst

Die Bereitschaft deines ZNS trainierst du tatsächlich nur mit hohen Intensitäten von über 85%, idealerweise über 90%. Diese Fähigkeit wird aber  vergleichsweise schnell ausgebildet wird und benötigt nicht einmal ein besonders hohes Volumen in den niedrigen Wiederholungsbereichen. Muskelaufbau hingegen nimmt Jahrzehnte in Anspruch. Die besten Schwerathleten sind daher schon immer diejenigen gewesen, die die meiste Muskelmasse in den Wettkampf tragen konnten. [18, 19] 

 

Das belegt auch eine Untersuchung, deren Ziel es war, herauszufinden, wie unterschiedlich Einsteiger aufgrund ihrer unterschiedlichen Genetik auf das gleiche Trainingsprogramm innerhalb eines Zeitraums von zwölf Wochen reagieren. [20] Die Forscher stellten fest:

  • Alle Teilnehmer machten innerhalb der ersten acht Wochen ähnliche Fortschritte in ihrer Kraftleistung.
  • Die Muskulatur der genetisch begünstigten Teilnehmer wuchs etwa doppelt so schnell wie die der benachteiligten Teilnehmer.
  • Nach den ersten acht Wochen fielen die Fortschritte der Teilnehmer, die kaum Muskulatur aufbauten, drastisch ab.
  • Die Teilnehmer, die schnell Muskulatur aufbauten, konnten ihre Leistung mit unvermindertem Tempo weiter ausbauen.

 

Der Einsteiger Effekt, also die sehr schnellen Fortschritte, die Einsteiger in den ersten acht Wochen ihrer Trainingskarriere machen, ist insbesondere auf das Erlernen der Technik und die verbesserte Bereitschaft des ZNS zurückzuführen. [21, 22]

 

Das ZNS passt sich infolge darauf abzielenden Trainings sehr schnell auf ein Niveau an, bei dem nahezu alle Fasern gleichzeitig rekrutiert werden können, so dass kaum noch Luft nach oben ist. Auch das Erlernen der korrekten Technik erfordert in den meisten Bereichen der Schwerathletik nicht unglaublich viel Zeit. Im Vergleich dazu vollzieht sich Muskelaufbau gefühlt mit der Geschwindigkeit von Kontinentalplattenverschiebung. Das langfristige Ziel jedes ambitionierten Schwerathleten sollte also immer der Aufbau von möglichst viel Muskulatur sein.

Welche Intensität eignet sich für welche Übung?

Die großen, mehrgelenkigen Grundübungen zeichnen sich dadurch aus, dass dein Körper einen sehr hohen Anteil deiner Muskulatur benötigt, um sie auszuführen. Das gilt insbesondere für die Kniebeuge und das Kreuzheben. Nehmen wir an, du machst fünf Wiederholungen Bizepscurl, die so schwer sind, dass keine sechste Wiederholung möglich gewesen wäre und danach fünf Wiederholungen Kniebeuge mit dem gleichen Anstrengungslevel.

  • Nach fünf Wiederholungen Bizepscurl wirst du trotz des Muskelversagens keinen roten Kopf haben und nicht aus der Puste sein. Du wirst schon nach einer recht kurzen Pause von unter 60 Sekunden den nächsten Satz machen können.
  • Nach fünf Wiederholungen Kniebeuge wirst du, je nachdem wie stark, schwer, groß und ausdauernd du bist, eine Pause von zwei bis sechs Minuten benötigen, bevor du den nächsten Satz machen kannst. Die metabolische Belastung, die bei so einem Satz auf deinen Körper wirkt steht in direktem Bezug zu der Gesamtmenge an Muskulatur, die an der Übung beteiligt ist.

Deshalb ist es durchaus möglich, dass du, wenn du 15 Wiederholungen Kniebeuge machen möchtest, den Satz schlicht und einfach aufgrund von Sauerstoffnot oder Brennen in der Muskulatur abbrechen musst, bevor du nah genug am Muskelversagen bist, dass alle Muskelfasern erschöpft wurden. Es empfiehlt sich daher, weniger Wiederholungen zu machen, je mehr Muskulatur an der Übung beteiligt ist.


Wenn du für dich im Experiment herausgefunden hast, dass höhere Wiederholungsbereiche für dich am besten funktionieren, könnte das folgendermaßen aussehen:

  • Isolationsübungen (Schultern, Arme, Waden) 20 WH
  • Oberkörper Grundübungen (Bankdrücken, Klimmzüge, Überkopfdrücken) 15 WH
  • Unterkörper Grundübungen (Kreuzheben, Kniebeuge) 12 WH

Welcher Wiederholungsbereich eignet sich am besten für Einsteiger?

Die Praxis zeigt: Die Intensität hat einen Einfluss auf die Technik und insbesondere auf das Erlernen der korrekten Technik für Einsteiger.

 

Sätze mit weniger als acht Wiederholungen eigenen sich, insbesondere in den komplexen Grundübungen, für Einsteiger am besten. Die Belastungszeit ist bei diesen Sätzen so kurz, dass die volle Konzentration auf die Ausführung auch bei der letzten Wiederholung noch gegeben ist.

 

Je koordinativ schwächer ein Einsteiger ist, desto weniger Wiederholungen sollten seine Sätze haben. Wenn ich mit Kindern, Rentnern oder Behinderten arbeite, starte ich mit ein bis maximal drei Wiederholungen pro Satz.

 

Wenn es um das Erlernen der korrekten Technik geht ist die Anstrengung der Sätze allerdings von noch viel größerer Bedeutung als die Intensität. Mit diesem Thema werden wir uns um nächsten Teil vertieft beschäftigen.

Was zählt überhaupt als Wiederholung?

Falls du schon von ‚time under tension‘ (TUT) gehört hast: Mach dir darum keinen Kopf. Die TUT wird in Sekunden angegeben und beschreibt die Zeitspanne, während der sich deine Muskulatur bei einem Satz unter Spannung befindet. Die Messung der time under tension ist in der Praxis die aufwändigste Methode, die Intensität deiner Arbeitssätze messbar zu machen, da du beim Training jemanden brauchst, der mit einer Stoppuhr neben dir steht.

 

Die TUT wäre nur dann interessant, wenn du deine Wiederholungen extrem langsam oder extrem schnell ausführst. Solange du deine Wiederholungen zügig und kontrolliert ausführst, ist es viel einfacher deine Trainingsintensität in Wiederholungen zu zählen. Da sich extrem langsame und extrem schnelle Wiederholungen in Untersuchungen als ineffektiver als die klassische zügige und kontrollierte Ausführung erwiesen haben, gibt es höchstens in Ausnahmefällen gute Gründe, auf die TUT zu achten. [23, 24, 25, 26]

Quellen

[1] Schoenfeld et al., Strength and Hypertrophy Adaptations Between Low- vs. High-Load Resistance Training: A Systematic Review and Meta-analysis. J Strength Cond Res, 2017.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28834797

 

[2] Perlmutter et al., Total Repetitions Per Set Effects Repetitions in Reserve-based Rating of Perceived Exertion Accuracy, Medicine & Science in Sports & Exercise, 2017.

https://www.researchgate.net/publication/318098973_Total_Repetitions_Per_Set_Effects_Repetitions_in_Reserve-based_Rating_of_Perceived_Exertion_Accuracy_3648_Board_95_June_3_8

 

[3] Carpinelli, The size principle and a critical analysis of the unsubstantiated heavier-is-better recommendation for resistance training, J Exerc Sci Fit, 2008.

https://www.researchgate.net/publication/241485398_The_size_principle_and_a_critical_analysis_of_the_unsubstantiated_heavier-is-better_recommendation_for_resistance_training

 

[4] Burd et al., Bigger weights may not beget bigger muscles: evidence from acute muscle protein synthetic responses after resistance exercise. Appl Physiol Nutr Metab, 2012.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22533517

 

[5] Schoenfeld et al., Dose-response relationship between weekly resistance training volume and increases in muscle mass: A systematic review and meta-analysis, J Sports Sci, 2017.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27433992

 

[6] Campos et al., Muscular adaptations in response to three different resistance-training regimens: specificity of repetition maximum training zones. Eur J Appl Physiol, 2002.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12436270

 

[7] Cameron et al., Resistance exercise load does not determine training-mediated hypertrophic gains in young men. J Appl Physiol, 2012.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3404827/

 

[8] Van Roie et al., Strength training at high versus low external resistance in older adults: effects on muscle volume, muscle strength, and force-velocity characteristics. Exp Gerontol, 2013.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23999311

 

[9] Ogasawara et al., Low-Load Bench Press Training to Fatigue Results in Muscle Hypertrophy Similar to High-Load Bench Press Training, Int J Clin Med, 2013.

https://www.researchgate.net/publication/235732920_Low-Load_Bench_Press_Training_to_Fatigue_Results_in_Muscle_Hypertrophy_Similar_to_High-Load_Bench_Press_Training

 

[10] Lim et al., Resistance Exercise-induced Changes in Muscle Phenotype Are Load Dependent. Med Sci Sports Exerc. 2019 Dec;51(12):2578-2585.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/31306302

 

[11] Van den Tillaar et al., Comparison of muscle activation and kinematics during free-weight back squats with different loads. PLoS One. 2019 May 16;14(5):e0217044.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/31095625

 

[12] Potvin et al., A motor unit-based model of muscle fatigue. PLoS Comput Biol. 2017 Jun 2;13(6):e1005581.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28574981

 

[13] Carroll et al., Skeletal Muscle Fiber Adaptations Following Resistance Training Using Repetition Maximums or Relative Intensity. Sports (Basel). 2019 Jul 11;7(7). pii: E169.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/31373325

 

[14] Schoenfeld et al., Effects of different volume-equated resistance training loading strategies on muscular adaptations in well-trained men. J Strength Cond Res, 2014.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24714538

 

[15] Bublak, Muskelzerfall nach dem Power-Strampeln. Orthopädische Sportmedizin, 2017.

https://www.springermedizin.de/orthopaedische-sportmedizin/notfaelle-in-der-hausarztpraxis/muskelzerfall-nach-dem-power-strampeln/14965302

 

[16] Jones et al., Training Load and Fatigue Marker Associations with Injury and Illness: A Systematic Review of Longitudinal Studies. Sports Med, 2017.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27677917

 

[17] Eckard et al., The Relationship Between Training Load and Injury in Athletes: A Systematic Review. Sports Med, 2018.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/?term=training+load+eckard

 

[18] Brechue et al., The role of FFM accumulation and skeletal muscle architecture in powerlifting performance. Eur J Appl Physiol, 2002.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11990746

 

[19] Lovera et al., Anthropometric profile of powerlifters: differences as a function of bodyweight class and competitive success. J Sports Med Phys Fitness, 2015.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25611080

 

[20] Hubal et al., Variability in muscle size and strength gain after unilateral resistance training, Med & Sci in Sports & Exerc, 2005.

https://www.researchgate.net/publication/7794282_Variability_in_muscle_size_and_strength_gain_after_unilateral_resistance_training

 

[21] Sale, Neural adaptation to resistance training, Med Sci Sports Exerc, 1988.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/3057313

 

[22] Carroll et al., Neural Adaptations to Resistance Training: Implications for Movement Control, 2001.

https://www.researchgate.net/publication/11686440_Neural_Adaptations_to_Resistance_Training_Implications_for_Movement_Control

 

[23] Schoenfeld et al., Effect of repetition duration during resistance training on muscle hypertrophy: a systematic review and meta-analysis. Sports Med, 2015.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25601394

 

[24] Schuenke et al., Early-phase muscular adaptations in response to slow-speed versus traditional resistance-training regimens. Eur Jour Appl Physio, 2012.

https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs00421-012-2339-3

 

[25] González-Badillo et al., Maximal intended velocity training induces greater gains in bench press performance than deliberately slower half-velocity training, Eur J Sport Sci, 2014.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24734902

 

[26] Van Roie et al., Strength training at high versus low external resistance in older adults: effects on muscle volume, muscle strength, and force-velocity characteristics, Exp Gerontol, 2013.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23999311